Lieber Herr ... [...] Nun ist das mit den Musterloesungen (fuer mich) eine "alte" Sache, jedes Semester die gleichen guten Argumente... Zunaechst: Auch die Assistenten haben keine "Muster"loesungen sondern nur Hinweise daruf, wie Aufgaben geloest werden koennten (ich betone hier den Konjunktiv!) und worauf zu achten ist etc. - das soll die Qualitaet der Korrektur und der Besprechung der Aufgaben in den Uebungen sicherstellen. [...] Mein Hauptargument ist ein anderes: Musterloesungen vermitteln meiner Meinung nach das falsche Bild, als ob Probleme musterhaft geloest werden koennen. Das ist i.a. aber nicht der Fall. Es gilt: "Der Weg ist das Ziel!". Also: Es sollte in der Besprechung der Aufgaben nach der Korrektur (wo der Tutor typische Schwierigkeiten in den Loesungsansaetzen der Studenten erkannt hat) auf Aspekte des Loesungsweges etc. eingegangen werden und dies interaktiv behandelt werden. Dadurch lernt mal mehr als durch das stille Gruebeln ueber Musterloesungen. Vielleicht ist meine Meinung in diesem Punkt radikal - aber ich halte (von "guten" Ausnahmen abgesehen) Musterloesungen fuer den Ausdruck einer etwas zu verschulten Denkweise! In den meisten (guten!) Lehrbuechern findet man uebrigens auch keine Loesungen zu den Aufgaben. Um es einmal radikal zu formulieren: Ich moechte absichtlich verunsichern, damit man ueber die Dinge immer wieder neu nachdenkt. Nicht ein falsches Sicherheitsgefuehl erzeugen ("kann man spaeter in den Musterloesungen nachlesen" etc.). Zu den Problemen der realen Welt, die Sie spaeter im Beruf loesen, sagt Ihnen auch keine Autoritaet, ob Ihre Loesung richtig oder vernuenftig ist. Man lernt vor allem durch das BEMUEHEN, eine gute Loesung fuer ein Problem zu finden. Musterloesungen foerdern dieses Bemuehen nicht! Natuerlich ist es ein schoenes Gefuehl, hinterher bestaetigt zu bekommen, dass man mit seiner eigenen Loesung richtig lag. Aber ich bin ueberzeugt, dass Selbstzweifel (ist es auch wirklich richtig?) viel heilsamer sind. Und ich optimiere nicht nach "gutem Gefuehl", sondern nach Kritikfaehigkeit etc. Man lernt also meiner Meinung nach mehr, wenn man nicht direkt ueberpruefen kann, ob die eigene Loesung richtig ist, und zweitens wird man gerade dann, wenn man sich unsicher ist, ob die eigene Loesung richtig ist, angespornt, sich selbst zu beweisen, dass sie richtig ist. Diese selbstzweifelnde und oft quaelende Frage "stimmt das auch?" bzw. "gibt es nicht noch eine bessere Loesung / ein stichhaltigeres Argument?" ist es doch, was letztendlich zu einem tieferen Verstaendnis fuehrt! Es gibt keinen Koenigsweg zur Erkenntnis. Musterloesungen taeuschen in dieser Hinsicht eine falsche Sicherheit vor! (Sicherheit ist, wie gesagt, zwar ein schoenes Gefuehl, aber falsche Sicherheit eben doch nur eine Illusion.) Sie sehen: Ich halte allen Ernstes Musterloesungen fuer schaedlich! Dabei waere es einfach: Wir "verkaufen" Ihnen unsere Beispielloesungen als Musterloesungen, Sie haben ein angenehmes Gefuehl und bewerten in den Vorlesungsumfragen die Vorlesung besser als wenn Ihnen die Musterloesungen fehlen... [...] Viele Gruesse Friedemann Mattern.