ETH Zürich

Department of Computer Science
Distributed Systems Group

Geschichte des Ubiquitous Computing und wegweisende Projekte

Zusammenfassung des Vortrages von Paul Miotti vom 4.4.2000

Fachseminar Ubiquitous Computing SS2000

Abstract

In diesem Vortrag geht es in erster Linie darum, die Vision hinter dem Schlagwort "ubiquitous computing" zu erfassen. Der Mensch stellte immer schon Werkzeuge her, z.B. Faustkeil, Waffen etc. später auch Maschinen. IT-Werkzeug und IT-Maschinen haben in diesen Werkzeugarsenalen einen Sonderstatus für den Menschen, entsprechend seiner Sonderstellung im Universum.

Schon aus der kurzen Geschichte der Informatik ist ablesbar, dass es die Ideen waren, die die grossen Veränderungen hervorgerufen haben, und nicht die schnellen "Hacks". Ein neues Verständnis und Selbstverständnis des Informatikers tritt zutage: Nicht mehr der Experten-Held, der dem Enduser-Laien zeigt, wie Informatik richtig funktioniert, ist gesucht. Sondern der Diener, der freiwillig auf die Rolle im Mittelpunkt verzichtet und in den Hintergrund tritt.

Weiters sollen auch hinreichend klare und deutliche Begriffe vermittelt werden, was aber nicht eine Präzision im mathematischen Sinne bedeuten kann. Schliesslich soll eine Uebersicht über das Spektrum der aktuellen Entwicklung gegeben werden.

Weiterführende Informationen und Quellen sind den Handouts zum Vortrag (Fotokopien der Folien) und der Uebersichts-Web-Page

https://www.inf.ethz.ch/department/IS/vs/education/SS2000/UC/
zu entnehmen.

1. Begriffe

Laut Fremdwörter-Duden (1974) heisst ubiquitär, überall verbreitet und wird vor allem in der Biologie verwendet. Spatzen sind z.B. ubiquitär, weil sie in den verschiedensten Lebensräumen auftreten.

Ubiquitous im aktuellen Computer-Jargon hat eine analoge Bedeutung, erhebt auch den Anspruch, kein Modewort zu sein. Es geht um eine Vision der Zukunft der Informatik, aber auch der Gesellschaft und des Lebens im allgemeinsten Sinn. IT soll etwas für jeden Menschen einfach Einsetzbares und Nützliches werden. Dies wird erreicht, wenn IT als IT aus dem Bewusstsein des Anwenders hinter dem Zweck der Anwendung verschwindet.

Wer mit dem Hammer einen Nagel einschlägt, denkt im Normalfall nicht an den Hammer, sondern z.B. an das Haus, das er bauen will. Beim Computer ist dieser Prozess des "Normal-Werdens" noch lange nicht ausgereift. Seine universale Einsetzbarkeit lässt im Gegenteil viele Möglichkeiten offen und verlangt spezielle Kenntnisse für den Einsatz zwecks einer konkreten Absicht.

Auch für den oberflächlichen Kenner des aktuellen Standes der IT erscheint die Vision des Verschwindens der IT als IT in mancherlei Hinsicht als technisch realisierbar, also kein reines Phantasieprodukt. Es ist daher mit Gellersen (Hans-W. Gellersen: Ubiquitäre Informations-technologien, Aufsatz erhältlich über Internet) eine Begriffsbestimmung möglich. Diese hat aber keine allgemein-verbindliche Autorität, sondern kann bloss mehr oder weniger plausibel sein.

Es werden mit ubiquitär hauptsächlich folgende beiden Gegenstände bezeichnet:

  1. Die Tatsache, dass überall per Internet verbundene PCs und andere Computer vorhanden sind.
  2. Die Vision, dass IT unbemerkt überall vorhanden ist.

Bedeutung 1 trifft die Vision nur bedingt, da General Purpose-Computer weiter im Mittelpunkt stehen. Diese verschmelzen zwar verschiedenste Services (vgl. ISDN), aber sie selber verschmelzen nicht mit der Anwendung (appliance). Zudem braucht es spezialisiertes Wissen zur Beherrschung solcher Maschinen.

Bedeutung 2 rückt die technologischen Aspekte an der IT für den Anwender in den Hintergrund, nicht aber die IT-Unterstützung und –Vorteile (information appliance). Erwünscht ist also nicht mehr ein spezielles eigenständiges IT-Gerät wie ein PC, sondern Geräte, die sich möglichst unauffällig in natürliche Abläufe einbetten lassen und gegebenenfalls miteinander verbunden sind, wie beispielsweise der "MediaCup", wo eine Kaffeetasse per Sensor-, Prozess- und Kommunikations-funktion automatisch Zustände erkennt und weiterleitet.

Die Verallgemeinerung von Bedeutung 1 führt zu "persönlicher IT", die sich überall mitnehmen lässt. Diejenige von Bedeutung 2 zu sog. " Informationsumgebungen", die überall vorhanden sind.

Persönliche IT
Informationsumgebungen

2. Visionäre

2.1 Vannevar Bush: As We May Think. The Atlantic Monthly; July 1945; Volume 176/1; p. 101-108

Bush war einer der ersten Menschen, der auf realistische Weise nachwies, dass der Haupt-Einsatz-zweck des Computer von allgemeiner kultureller Natur sein kann und nicht nur auf den des Rechnens eingeschränkt bleiben muss. Zugleich aber findet sich keine Rede von "Elektronengehirn" und dergleichen in Bush's Vision. Es hat sich mittlerweile auch herausgestellt, dass diese sich mit der heutigen Technik weitgehend in Realität umsetzen lässt. Dabei ist und bleibt der Computer nur ein Hilfsmittel und kein Ersatz für den Menschen.

Bush schrieb seinen berühmten Artikel am Ende des 2. Weltkrieges als höchster wissenschaftlicher Beamter in der US-Administration und als Chef von 6000 Forschern, die sich während des Krieges für die Ueberlegenheit der US-Technologie einsetzten und die ja in der Atombombe gipfelte. Er stellte sich folgende Hauptfrage: Wie kann Wissen erlangt, verarbeitet und weitergegeben werden? Denn niemand kann mehr alles wissen, Spezialisierung ist notwendig. Bush‘s Antwort war: Es braucht neue Methoden im Umgang mit Wissen. Die Technologien dazu sind im Unterschied zu früher alle vorhanden und bezahlbar: Sie stammen aus der Photographie, Kommunikation, TV, Microfilm etc.

Die Encyclopedia Britannica kann auf das Volumen einer Zündholzschachtel reduziert werden. Das kumulierte menschliche Wissen ist darin versammelt. Aber obwohl dieses in jeder besseren Bibliothek vorhanden ist, wird es nur von wenigen konsultiert. Das eigentliche Ziel muss es also sein, das Wissen ubiquitär und den Zugriff mechanisierbar zu machen.

Natürliche Sprache ist wenig geeignet für Mechanisierung. Auch kann menschliches Denken nicht durch Mechanik ersetzt werden. Aber die Zeit, die der Wissenschaftler zur Sammlung seiner Rohdaten verbraucht, kann reduziert werden. Hierin sieht Bush eine Hauptentlastung des Wissenschaftlers. Lochkarten können arithmetisch-numerische und symbolisch-logische Operationen steuern. So können die erforderlichen Operationen des Speicherns, Aenderns, Löschens, Findens etc. maschinell durchgeführt werden.

Bis hierhin scheinen Bushs Ueberlegungen nue ein sachlich fundiertes Konzept für die Herstellung eines Computers zu sein. Für sich allein schon bemerkenswert. Denn zu dieser Zeit hatten ja Mauchly und Zuse kaum ihre ersten funktionstüchtigen "Rechner-Computer" erfunden. Es folgt aber noch ein nächster Schritt: Memex. Klar unterscheidet Bush die Arbeitsweise der Selektion von Daten ueber einen (sortierten) Index und der assoziativen Methode beim Menschen, dessen Gedächtnis eben nicht dauerhaft ist. Die Maschine Memex ("Gedächtniserweiterung") soll dem Menschen helfen, in einer Art Hypertextsystem seine individuellen Assoziationen zwischen Wissensrepräsentationen abzulegen, und sich so dem menschlichen Gedächtnis anzunähern.

Die Methode der Voraussagen von Bush ist nicht ein kartesischer Zweifel, sondern "Prophecy based on extension of the known ...". Bush geht auch noch über Information-Retrieval- und Hypertext-Systeme hinaus: Er denkt daran, den Dateninput, den die Sinne an das Gehirn liefern, zu nutzen. Er nimmt dabei Bezug auf die Uebermittlung von akustischen Daten über Knochen bei Schwerhörigen. Als Vollendung eine Art "Brain-Interface", wie dies in jeder besseren Science-Fiction-Literatur vorkommt.

2.2 J.C.R. Licklider: Man-Computer Symbiosis, IRE Transactions of Human Factors in Electronics Volume HFE-1, pp. 4-11, March 1960

Licklider war ursprünglich Psychologe und hatte von seiner Ausbildung her nichts mit Informatik zu tun. 1957 war er Research Professor für Psychoakustik am MIT. In seiner Forschung traf er auf das Problem der Umwandlung von unverständlichen akustischen Rohdaten in entsprechende einsichtige Graphen. Diese verbrauchte zu viel Zeit (vgl. Bush). Er hat die Idee, diese Arbeit an Maschinen zu delegieren. So kam es zur Zusammenarbeit mit den später berühmt gewordenen AI-Forschern am MIT. Weiter war er an der Entwicklung von interaktiven anstatt von batch-Systemen massgeblich beteiligt. Er erlebte eine Art "religiöse Konversion" im Umgang mit Computer: Er erkannte die Bedeutung des Computers bei der Lösung der aktuellen Menschheitsprobleme. Auf der Suche nach neuen Formen in der Mensch-Computer-Beziehung stellte er sich die Frage: Wie kann die Komplexität, welche die Probleme des Ueberlebens der Menschheit auszeichnen, bewältigt werden? Seine Antwort war: Durch Partnerschaft, Symbiose (Biologie: Zusammenleben von Hai und Pilotfisch, der dem Hai die Zähne putzt). Weder das menschliche Gehirn, noch der Computer allein können es schaffen.

Dank dem Sputnikschock wurde die US-Forschungskultur revolutioniert. ARPA wurde gegründet, man wollte die technologische Ueberlegenheit der USA durch neuartige und risikoreiche Projekte herbeiführen. Lickliders Ideen eines interaktiven Computers mit Keyboard und Graphikdisplay führten dazu, dass Licklider 1962 Direktor des "IT Offices" im Pentagon wurde. Licklider war eine besondere Art von Forschungmanager, der den Computer als kulturelle Errungenschaft betrachtete und diese universal und der ganzen Gesellschaft zur Verfügung stellen wollte.

2.3 Douglas Engelbart: Augmenting Human Intellect: A Conceptual Framework. Stanford Research Institute, October 1962.

Englebart war Elektroingenieur, der den 2. WK als Radarsoldat mitgemacht hatte. Kurz nach seinem Erscheinen las er Bush's Artikel. Auch er sah den Computer als Errungenschaft für die Kultur als ganze, etwa im Sinne der Erfindung des Buchdrucks, der die wesentliche Voraussetzung für den heutigen Alphabetisierungs- und Bildungsstand darstellt.

Einige Jahre nach Ende des 2. WK zurück in Californien hatte Engelbart die Einsicht, dass er sein Leben in den Dienst der Menschheit einsetzen musste. Die globalen Probleme brauchten zu ihrer Lösung neue Werkzeuge. "If you can improve our capacity to deal with complicated problems, you've made a significant impact on helping humankind. That was the kind of payoff I wanted, so that's what I set out to do”.

Englebart hatte persönlich und beruflich keine einfache Biographie mit vielen Widerständen und Rückschlägen für seine Ideen, da diese über die zeitgemässen Vorstellungen von batch-Verarbeitung von numerischen Problemen weit hinausgingen ("amplifier of the mind"). Er führte zunächst an der Universität von Stanford in Californien ein Schattendasein. Dann kam es zu einem unverhofften Wechsel durch die Aenderung in der Regierungsforschungspolitik, die durch den Sputnik-Schock ausgelöst und vorhin beschrieben wurde. Engelbart verfasste ein Grundsatzpapier, worin er seine Philosophie beschrieb: Sein Problem war das menschliche Verstehen (" comprehension") , das er durch Hilfsmittel, Werkzeuge schneller, tiefer, besser gestalten, aber nicht etwa ersetzen wollte. "Human intellect uses tools, but the power of the human mind is not itself limited to the tools the human brain automatically provides".

Engelbart erhielt aufgrund seiner Ideen beträchtliche Forschungsgelder vom Verteidigungsministerium und konnte damit seine Visionen anpacken. Er gründete das Augmentation Research Center (ARC). Das erste Entwicklungsziel war das sog. NLS, das für "on line system" steht.

Am 9.12.1968 führte Engelbart NLS an einer legendären Konferenz in San Francisco der Computerforschergemeinschaft vor. Es hatte eine Art Maus, ein GUI mit Windows etc. Der Erfolg war überwältigend, vor allem auch deswegen, weil er über seine Entwicklungen nicht einfach sprach, sondern sie selber vorführte. Mit dieser Demo hatte Engelbart gezeigt, dass Computer nicht einfach nur rechnen können, sondern sie auch zur Bearbeitung von Dokumenten, Texten verwendet werden können. Er führte auch eine Art Electronic Mail vor und befasste sich mit Teleconferencing.

Der durchschlagende Erfolg war aber auch der Anfang vom Ende von ARC. Es kam zu diversen Problemen. Es war nicht mehr möglich, das Tempo und die Intensität der weiteren Forschung beizubehalten. 1975 wurde das ARC an eine Privatfirma verkauft.

Parallel dazu kam es aber zu zwei anderen wichtigen Entwicklungen: Der Personal Computer wurde technisch und ökonomisch möglich und Xerox gründete in der Nähe vom ARC-Sitz das Palo Alto Research Center PARC, das in den 70er Jahren mit dem Computer namens Alto die Vorläufer von Mac, PC etc. mit der zugehörigen Software baute, aber nicht in ein kommerziell erfolgreiches Produkt umsetzen konnte.

2.4 Mark Weiser: The Computer for the 21st Century. Scientific American, September 1991, pp. 94-104.

Auch Weiser sieht die Entwicklung des Computers auf dem Hintergrund der menschlichen Kulturgeschichte. Schrift ist für ihn eine Uebersteigen der Limiten des individuellen Gedächtnisses. Wir befinden uns zur Zeit der Abfassung von Weisers Aufsatz in der analogen Phase, als die Mehrheit der Menschheit Analphabeten waren und es spezielle Schriftkundige brauchte.

Aus der menschlichen Psychologie ist bekannt, dass eine genügend beherrschte Fertigkeit aus dem Zentrum des Bewusstseins verschwindet. Nicht mehr die Schriftbeherrschung steht im Zentrum, sondern die von ihr transportierten Bedeutungsgehalte.

Weiser grenzt ubiquitous computing von zwei anderen aktuellen Tendenzen ab: Ein tragbarer Superlaptop wäre in der analogen Welt der Schrift, das Herumtragen eines einzigen besonders wichtig scheinenden Buches. Virtual Reality ist kein ubiquitous computing, weil es – beschrieben in einer geografischen Metaphorik – nur eine Landkarte, aber kein Territorium selber ist. Die Anwender wollen eigentlich nur alltägliche Vorgänge schlau, aber ohne spezielles eigenes Nachdenken erledigen lassen. Weiser sieht darin folgende zwei Hauptproblembereiche: die Grösse der Geräte und ihre Lokalisierung.

Weiser schlägt folgende drei Grössenordnungen für Geräte vor, inch- (tab) , foot- (pad) und yard-scale (board). Also ganz kleine von der Grösse einer Zündholzschachtel, eines Palm oder einer Wandtafel.  Anstatt eine Applikation wie unter Windows in ein Icon zu minimieren, soll man dies auf einen tab tun, den man überallhin mitnehmen kann und den man am gewünschten Ort wieder zur ursprünglichen Umfang der Applikation maximieren kann.


Bild: Xerox ParcTab als Beispiel für ein Tab

Pads sind eine Art scrap computer (wie sog. "Sudelpapier"), sie sind nicht individualisiert wie der uns bekannte PC. Davon unterscheiden sie sich ganz fundamental darin, dass sie keine Desktop-Metapher repräsentieren, sondern in den realen Desktop (oder andere Orte) unseres Arbeitsplatzes integriert sind. Man gebraucht sie wie heute Papier.

Boards dienen vor allem der Gruppenkommunikation, Gruppenarbeit. Die wirkliche Neuerung und das Potential dieser Geräte stammt aber nicht aus einem dieser Geräte selber, sondern aus der Interaktion, dem Zusammenspiel von allen. Verlegte Papiere können gesucht werden, die Modalität der Kommunikation kann vom Benutzer mitbestimmt werden (z.B. Lautstärke etc.).

Weiser nimmt auch Stellung zu den ganz konkreten Entwicklungsproblemen solcher Geräte zur Zeit der Abfassung seines Aufsatzes: Hardware (Leistung, Preis, etc.), Betriebssysteme (Verteilung, Dynamik, Architektur etc.), Netzwerk (Kapazitäten, Protokolle etc.). Es gibt aber keine ernsthaften prinzipiellen Verhinderungsgründe.

Schliesslich erzählt Weiser in einem kurzen Beispiel, wie sich ubiquitous computing im ganz normalen Leben abspielen könnte. Im privaten Alltag mit stimmengesteuerten Haushaltsmaschinen, in Fenstern ablesbaren Informationsflüssen, wie Kommunikation mit Nachbarn, Ueberwachung von Kindern. Bedienungsanleitungen von Geräten werden als Tabs geliefert. Verkehrsmeldungen und Parkplatzsuche interaktiv ins Auto übermittelt.

Im Geschäft arbeitet man mit Kollegen mit einem sog. Virtual Office Sharing, gegenseitig geteilten Zugangsberechtigungen auf den Programmen/ Dokumenten. Kommunikation über grössere Distanzen sind sowieso schon ganz normal und man kann sich nach Bedarf in Telekonferenzen ein- und ausklinken.

Nicht zuletzt weist Weiser auch auf die Problematik des Datenschutzes hin, der durch Staat, Gesellschaft, Privatfirmen, Vorgesetzten hintertrieben werden kann. Er schlägt als Gegenmassnahme die Einführung von digitalen Pseudonymen vor.

Alles in allem soll sich der Computer in den Hintergrund der menschlichen Lebenswelt verziehen, was zu einer Verminderung der Zahl der " Computer-Addicts" führen soll. Vor allem aber soll ubiquitous computing auch dazu beitragen dem Informationsüberfluss Herr zu werden, aber auch zu einem neuen Regenerationsmittel für die Menschheit werden.

Hinweis auf zusammenfassende Sekundärliteratur, die diese Themen weiter ausführt:

Howard Reinhold: Tools for Thought, 1985, auf dem Web erhältlich, Neuauflage April 2000 bei MIT Press vorgesehen

3. Frühe Projekte

3.1 The First Wearable Computer (1955, 1960-1961), Edward Thorp & Claude Shannon, MIT

Thorp und Shannon entwickelten am MIT ein Gerät zur Verbesserung der Spielchancen beim Roulette. Zwei Leute waren am Spielsystem beteiligt. Der eine musste die Ausgangsparameter der Roulettekugel nach Abgabe durch den Croupier schätzen und mit den Zehen in den Schuhen auf ein Gerät eingeben, das er versteckt auf sich trug. Auf diesem wurde eine Berechnung in Analogie zu Planetenlaufbahnen durchgeführt. Das Resultat dieser Berechnung wurde an den eigentlichen Spieler, der ein Empfangsgerät mit verstecktem Ohrhörer trug, als Tonhöhe codiert übermittelt. 1961 testeten sie das zigarettenschachtelgrosse Geraet in Las Vegas. Sie erreichten eine Chancensteigerung von plus 44%, entsprechend dem von ihnen erwarteten Wert. Sie konnten keine grossen Gewinne realisieren, da die dünnen Kabel des Ohrhörers oft brachen.

3.2 Active Badge (1989-1992), AT&T Research Europe (früher Olivetti Research).

Ein Badge ist eine Identifikationsmarke, wie sie in vielen Firmen z.B. für Zutrittskontrollen und Arbeitszeitüberwachung verwendet wird (vgl. Studentenausweis ETH). Beim Active Badge Projekt wird dieser Ausweis zur Lokalisierung seiner Träger verwendet. Neben dem Hauptforschungsstandort Cambridge England sind an diversen anderen Institutionen über 1500 Badges und 2000 Infrarot-sensoren seit Inbetriebnahme dieses Systems 1992 installiert.

In seiner ursprünglichen Form versandte der aktive Badge alle 15 Sekunden seinen Code an die Sensoren. Die daraus abgeleiteten Lokalitäteninformation war über das WWW abrufbar.

3. 3 PARCTab (1992-1994), Xerox PARC

PARCTab folgt direkt aus den Ideen von Mark Weiser und wurde bei Xerox entwickelt. Ein Tab ist die kleinste Stufe von künftigen Geräten, von der Grösse einer Zigarettenschachtel und kommuniziert per Infrarotschnittstelle mit Applikationen auf Workstations. Man trägt einen Tab immer und überall wie einen Pager. Der Tab ist immer mit dem Infrastruktursystem verbunden. Dieses kennt immer den Ort des Tabs. Ein Tab ist als Frontend für das System im Hintergrund konzipiert, ein reales PC-Icon, das wieder maximiert werden kann.

4. Uebersicht über aktuelle Forschungsgruppen und -projekte

Die folgende Auswahl ist nicht repräsentativ, sondern ziemlich willkürlich. Es soll die Breite des Spektrum und die Vielfalt von Anwendungszweck, Technologie etc. vorgestellt werden. Auf die (technischen) Details wird aber verzichtet, da sich die folgenden Veranstaltungen damit befassen.

NrOrtProjektnamen und Beschreibung
1MIT
Smart Desk /Rooms
Themen wie die optische Lokalisierung, der Gesichtsausdruck, Gesten, Handlungen, Ereignisse etc. werden semantisch erfasst und analysiert. Erzielte Erkenntnisse werden für unsichtbare Butler oder das Steuern eines Autos mit Gestik/Mimik weiterverwendet.
Wearables
Steve Manns Forschungen, die eine Erweiterung/Schärfung der men-schlichen Sinne ermöglichen werden z.B. für Behinderte eingesetzt.
TTT (Things that think)
Eine Forschungsinitiative, die die Zusammenarbeit von Forschung und Industrie fördert. Im Projekt " Counter-Intelligence" aus dem Bereich von Küche und Kochen, werden Systeme zur interaktiven und intelligenten Bedienung von Mikrowellengerät und Kaffeemaschinen gebaut.
2Georgia Tech
Eclass
Ausbildung (Ueberblick und Dokumentation)
Smart Floor
Smart Floor soll die Identifizierung und Lokalisierung von Personen aufgrund des Auftretens der Füsse auf den Boden ("ground reaction force") vornehmen. Das System ist lernfähig und muss zuerst trainiert werden, um jemanden identifizieren zu können ("footfall force signature"). Funktioniert bei einer Testgruppe von 20 etwa Personen mit 90% Genauigkeit.
3CSTAR/
Andersen Consulting
Online Medicine Cabinet
Das Online Medicine Cabinet soll Patienten in ihrer Behandlung unterstützen, ohne dass sie in ihren sonstigen Aktivitäten unterbrochen werden. OMC besteht aus Sensoren, Internet und embedded computers, die ein Portal bilden. Eine Anwendung (appliance) steht kontinuierlich in Kontakt mit den Patienten und führt individuelle Services aus wie Messung von Blutdruck etc.
Shoppers Eye
Ein Käufer trägt einen Shopper's Eye auf sich, der seine Kaufwünsche, -geschichte und -gewohnheiten gespeichert hat, den Standort des Käufers kennt und der diese Informationen über eine zentrale Vermittlungsstelle an die Geschäfte in der Umgebung des Käufers übermittelt. Die Geschäfte fassen diese Interessentenwünsche  zusammen und lassen konkurrierende Hersteller akkumuliert darüber informieren. Diese offerieren an die Detaillisten wiederum massgeschneidert und mit Spezialkonditionen. Schliesslich lassen die Detaillisten-Läden den individuellen Interessenten eine Offerte ihrer Produkte und Dienstleistungen zukommen.
Avalanche
Durch die ubiquitäre Verwendung von Elektronik (Bordcomputer, GPS, wireless NW) im Auto sollen folgende Bereiche abgedeckt werden. Interaktive real-time Navigation, ebenso wie allgemeines Konsumverhalten, Art der Fahrzeugbenutzung. Chancen für neue Dienstleistungsangebote werden erhoben/angeboten.
MusicFX
In einem Fitnesscenter wird die Hintergrundsmusik indirekt über die Badges der anwesenden Klubmitglieder gesteuert. In einer Datenbank sind die Präferenzen der Mitglieder gespeichert. Beim Betreten und Verlassen wird mit dem Badge eingecheckt. Interessant ist wie die Musik dann ausgewählt wird: Zu Beginn wurde versucht, den meisten Leuten die ganze Zeit über gerecht zu werden, während neuere Versionen versuchen, allen Leuten während gewisser Zeitabschnitte gerecht zu werden. Ist dies ein Vorbild für politische und andere Entscheidungsfindungen?
4Microsoft Research
EasyLiving
Es ist das Ziel dieses Projektes, den "Star Trek" Computer zu realisieren. Er kann hören und sehen, menschliche Sprache und Gesten verstehen. Eine Spezialkamera nimmt die visuellen Informationen und diverse Mikrophone die auditiven entgegen. Der Steuerungscomputer spricht mit künstlicher Stimme oder zeigt Informationen auf der Wand an. Die einzelnen Personen werden am Fingerabdruck erkannt und ihr Standort verfolgt. Es kann der PC-Desktop der Individuen auf dem Wandbildschirm angezeigt werden. Die Lieblingsmusik wird automatisch abgespielt etc.
5Teco/
Uni Karlsruhe
MediaCup
Der MediaCup ist ein gewoehnliche Kaffeetasse, die zusaetzlich mit Sensoren, Prozess- und Kommunikationsfaehigkeiten ausgestattet ist. Diese sollen mit allgemeinen Kontextinformationen in einer bestimmten Umgebung arbeiten koennen. Dieses Projekt erkundet die Moeglichkeit der Ausstattung von Alltagsgegenstaenden im Sinne des Ubicomp: Stromverbrauch, wireless recharging, low-cost, zero-administration NW etc.
TEA (Technology for Enabling Awareness)
Das Mobiltelefon soll "context aware" werden. Das Klingelprofil (für Büro, Bahn, Konzert etc.) muss nicht mehr manuell eingestellt werden, sondern wird automatisch gewählt aufgrund von Helligkeit, Ton, Bewegung etc.
6Interactive Insitute/
PLAY
Brainball
Eine Art Tischfussball-Spiel mit neuen Inputdevices. Es werden Gehirnaktivitäten gemessen. Sieger ist der entspanntere Spielpartner.
Ocular Witness
Neue visuelle Projektionsmedien für Künstler (mit Laser). Ziel ist es herauszufinden, ob Ubicomp die ästethische Wahrnehmung verändert.
Next Bar
Ferngesteuerte Kaffeebar am Flughafen, Steuerung in Hochschule. Zweck ist die Erforschung von Kommunikation/ Interaktion auf Distanz.
Active Narratives
Ist es möglich, dass der (Prosaliteratur-)Leser zum Autor wird? Wie kann dies IT-mässig geschehen? Ist es möglich unvoraussehbare und zugleich bedeutsame und unterhaltsame Geschichten mittels Computer zu konstruieren?
7Uni Lancaster
GUIDE
GUIDE wird als "Context-sensitive mobile Multimedia Support for City Visitors” klassifiziert. Es wurde an der Uni Lancaster in England entwickelt. Touristen in Lancaster tragen ein Endsystem auf sich, das mit GPS und über WWW etc. dem Träger wie ein menschlicher Touristenführer interaktive Informationen zur Verfügung stellt.

Das System befindet sich in einem Feldversuchsstadium und soll auch die Aufmerksamkeit der Tourismusindustrie auf sich ziehen. Es gibt an diversen anderen Orten analoge Systeme in Entwicklung/Einsatz.

6. Diskussionsanregung

Bei aller Faszination durch die neuen Möglichkeiten dürfen wohl folgende und andere (selbst-)kritische Fragen immer wieder gestellt werden:
Last Updated: Mon May 8 10:22:30 MEST 2000 ml