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Der Ladenburger Diskurs "Ubiquitous Computing"

Leitung: Friedemann Mattern, ETH Zürich

Am 9. und 10. Februar fand in Ladenburg erstmalig ein Diskurs zum Thema "Ubiquitous Computing" statt. Die 28 Teilnehmer kamen zur Hälfte aus der Informatik, andere vertretene Gebiete waren u.a. die Rechtswissenschaften, Sozialwissenschaften, Philiosophie, Wirtschaftswissenschaft und Kulturwissenschaft.

Unter dem 1988 von Mark Weiser, Chief Technologist am Forschungszentrum von XEROX in Palo Alto, geprägten Begriff "Ubiquitous Computing" wird die Allgegenwärtigkeit von zahllosen kleinsten, miteinander über Funk kommunizierende Mikroprozessoren verstanden, die unsichtbar in beliebige Alltagsgegenstände eingebaut werden können. Mit Sensoren ausgestattet, können diese mikroskopisch kleinen Computer die Umwelt des Gegenstandes, in den sie implantiert sind (oder mit dem sie gar zu einem einzigen Ding verschmolzen sind), erfassen und diesen mit Informationsverarbeitungs- und Kommunikationsfähigkeiten ausstatten. Diese Möglichkeit verleiht Gegenständen eine ganz neue, zusätzliche Qualität - diese "wissen" zum Beispiel, wo sie sich befinden, welche anderen Gegenstände in der Nähe sind und was in der Vergangenheit mit ihnen geschah.

Die Visionen einer umfassenden Informatisierung und Vernetzung fast beliebiger Dinge des Alltags scheinen in den nächsten wenigen Jahren aus technischer Sicht tatsächlich realisierbar. Da durch solche "smart objects" ganz neue Nutzungsmöglichkeiten eröffnet werden, könnte sich die Vision des Ubiquitous Computing auch in wirtschaftlicher Hinsicht zügig durchsetzen, so dass Informationsverarbeitungsfähigkeit und Informationsdienstleistungen letztendlich vielleicht so allgegenwärtig sein werden wie heute beispielsweise die Elektrizität: immer verfügbar und - aus derzeitiger Sicht - zu fast magisch anmutenden Dingen fähig.

Im Diskurs wurden einige denkbare Zukunftsszenarien vorgestellt und - zum Teil recht lebhaft und kontrovers - diskutiert. Weiss etwa ein Auto stets ganz genau, wo es sich befindet, und kann es diese Information jederzeit allen anderen benachbarten Autos zugänglich machen, dann wären viele Kollisionsunfälle im Prinzip vermeidbar. Interessant ist auch das Potential zukünftiger "Wearable Computer" und "Smart Clothes": Als persönliche Technologie stets bei sich oder gar am Körper selbst getragen, ermöglicht diese nicht nur den Ersatz der heute üblichen tragbaren Hilfsmittel wie Mobiltelephon oder Adressbuch, sondern könnte auch als "IT-Prothese" zur dauernden Erweiterung menschlicher Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsfähigkeit angewendet werden.

Die Realisierung solcher Visionen hätte mit Sicherheit enorme wirtschaftliche und soziale Auswirkungen (was u.a. im Referat "gesellschaftliche und wirtschaftliche Dimension" thematisiert wurde), provoziert aber auch ethische und rechtliche Fragestellungen. So stellt sich bei massenhaft in die Umwelt eingebrachten Mikrosensoren, die via Internet ihre Daten (z.B. identifizierte Personen oder erkannte Gegenstände, die optisch, chemisch oder elektronisch eindeutig markiert sind) beliebig weitermelden können, unmittelbar das Problem des Datenschutzes und der "privacy". Zwei Referate des Diskurses beschäftigten sich daher auch mit den Themen "Persönlichkeitsschutz und Allgegenwärtigkeit" sowie "Privatsphäre trotz oder gar wegen Ubiquitous Computing".

Weitere Kurzreferatsthemen betrafen u.a. die technische Infrastruktur des Ubiquitous Computing, die Informatisierung der Umwelt, den Nutzen von KI-Techniken und Agentensystemen sowie die kulturelle Relevanz der sich abzeichnenden technischen Entwicklung.

Die Notwendigkeit einer interdisziplinären Auseinandersetzung mit der Thematik zeigte sich aber nicht nur bei der Betrachtung möglicher Wirkungen der Technik. Es wurde deutlich, dass alleine schon der Umgang mit unsichtbaren Computern eine Herausforderung für so unterschiedliche Disziplinen wie Informatik, Medienwissenschaft und Gestaltung darstellt. Denn tritt die Technik in den Hintergrund, dann müssen die Objekte der realen Welt selbst als Schnittstelle zur Informationswelt dienen. Dies wurde eindrucksvoll während des auch kulinarisch anregenden gemeinsamen Abendessens von H.-W. Gellersen demonstriert, der alleine durch das Berühren von Visitenkarten (die mit sogenannten "radio tags" präpariert wurden) die Homepage des so Bezeichneten auf einen nahestehenden PC zauberte.

Insgesamt wurden die Vielfalt der Kurzvorträge und die lebhaften Diskussionen von den Teilnehmern sehr positiv beurteilt. Mit dem Diskurs gelang es damit erstmalig, die an der Thematik interessierten Personen unterschiedlicher Disziplinen im deutschsprachigen Raum zusammenzuführen. Am Ende des Diskurses standen Diskussionen, die das insgesamt Gehörte und Diskutierte reflektierten. Wenn die "Vernetzung aller Dinge" eine noch stärkere Wirkung auf uns alle haben sollte als heute das Internet mit seiner weltweiten Vernetzung aller Computer, dann ergeben sich letztlich auch politische Fragestellungen: Sind wir der Macht des Faktischen im wesentlichen ausgeliefert oder lassen sich in diese Entwicklung beispielsweise auch bewusst klassische europäische Wertevorstellungen mit einbringen?

Bei den meisten Teilnehmern entstand der Eindruck, dass man am Beginn einer spannenden Entwicklung stehe. Eine Fortsetzung des Diskurses oder gar eine vertiefende, über Einzeldisziplinen hinausgehende Auseinandersetzung mit der Thematik scheint daher vielsprechend!

Teilnehmer: Dr. Natascha Adamowsky (Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Dr. Alfred Büllesbach (DaimlerChrysler AG), Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb (Fernuniversität Hagen), Prof. Dr. Meinolf Dierkes (Wissenschaftszentrum Berlin), Prof. Dr. Rainer Dietrich (Humboldt-Universität zu Berlin), Hermann Engesser (Springer-Verlag), Dr. Hans-Werner Gellersen (Universität Karlsruhe), Dr. Ralf-Guido Herrtwich (DaimlerChrysler AG), Prof. Dr. Bernd Holznagel (Universität Münster), Dr. Jörg Klein (Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung), Prof. Dr. Klaus Mainzer (Universität Augsburg), Prof. Dr. Friedemann Mattern (ETH Zürich), Prof. Dr. Max Mühlhäuser (TU Darmstadt), Prof. Dr. Günter Müller (Universität Freiburg), Prof. Dr. Jürgen Nehmer (Universität Kaiserslautern), Prof. Dr. Andreas Pfitzmann (TU Dresden), Dr. Joachim Posegga (Deutsche Telekom AG), Prof. Gisbert Frhr. zu Putlitz (Universität Heidelberg), Dr. Kai Rannenberg (Microsoft Research), Prof. Dr. Kurt Rothermel (Universität Stuttgart), Dr.-Ing Diethard Schade (Akademie f. Technikfolgenabschätzung), Prof. Dr. Alexander Schill (TU Dresden), Dr. Detlef Schoder (Universität Freiburg), Prof. Dr.-Ing. Ralf Steinmetz (TU Darmstadt), Dr.Dr. Norbert Streitz (GMD), Prof. Dr. Dr.h.c. Wolfgang Wahlster (DFKI / Universität des Saarlandes), PD Dr. Peter Welzel (Universität Augsburg), Prof. Dr. Lars Wolf (Universität Karlsruhe).

Weitere Informationen zum Ladenburger Diskurs "Ubiquitous Computing" (u.a. Kopien der Präsentationsfolien) sowie Literaturhinweise, Texte und sonstige Materialien zum Thema finden sich im Internet bei https://www.inf.ethz.ch/vs/events/UCdiskurs1.html

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Last updated June 20 2023 01:45:18 PM MET vc